Bielefeld/Berlin. Die Eiseskälte in Deutschland wird für obdachlose Menschen zur tödlichen Bedrohung: Elf von ihnen sind in diesem Winter laut der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe bereits auf der Straße gestorben. Erfroren sin sollen Menschen in Hannover, Berlin, Hamburg, Köln und Düsseldorf, auch wenn die Polizei Düsseldorf die Todesursache nicht als bestätigt ansieht. Auch in OWL leben Hunderte Menschen auf der Straße. Um Kältetode zu verhindern, kümmern sich Vereine und Kommunen in der Region um obdachlose Menschen. Doch gegen das größte Problem, die Wohnungsnot, kommen sie nicht an.
Die Wintermonate sind für obdachlose Menschen besonders gefährlich, weil Kälte lebensbedrohlich werden kann. Der Grund: Der Körper kühlt nach und nach aus und wichtige innere Organe versagen. Wie viel Kälte ein Mensch aushält, hängt von vielen Faktoren ab. Dabei spielen nicht nur Temperatur, Wind, Feuchtigkeit und Kleidung eine Rolle, sondern auch der Körperbau. Zudem beschleunigt Alkohol die Unterkühlung.
Um Kältetode zu verhindern, bitten die Kommunen und Hilfsorganisationen in OWL um Mithilfe. „Vor allem während der aktuellen Kälteperiode ist es wichtig, dass die Bevölkerung wachsam ist", sagt Sozialarbeiter Joachim Veenhof, Geschäftsführer des katholischen Vereins für soziale Dienste in Paderborn. „Wir bitten Bürger deshalb darum, obdachlose Menschen anzusprechen und in Notfällen den Notarzt zu rufen."
Aufmerksame Bürger können Leben retten
Die Unterstützung aus der Bevölkerung sei wichtig, um Kältetode zu verhindern, erklärt Veenhof. „Denn obwohl es ausreichend Plätze in Notunterkünften gibt und die Hilfsorganisationen eng kooperieren, erreichen wir nicht alle." Immer wieder treffen Veenhof und seine Kollegen auf Menschen, die sich bewusst gegen Hilfe entscheiden – trotz Minustemperaturen. „Häufig liegen psychische Erkrankungen zugrunde", erklärt Veenhof. „Dann gibt es aber auch Menschen, für die der Weg zurück in das System schwierig ist, weil sie ein gebrochenes Selbstwertgefühl haben, wenn sie zuvor lange als Mensch zweiter Klasse behandelt wurden."
Andere Betroffene möchten mit allen Mitteln den Weg in eine Notunterkunft verhindern, weiß Veenhof. Dabei erinnert sich der Sozialarbeiter an eine Frau, die aktuell in ihrem Auto schläft, weil sie ihre Wohnung verloren hat. „Das Auto ist das letzte Überbleibsel ihres vorherigen Lebens, das sie noch nicht aufgeben will. Deshalb will sie trotz niedriger Temperaturen nicht in eine Notunterkunft. Sie möchte nicht zur Gruppe der Obdachlosen zählen, obwohl sie aktuell kein Obdach hat."
Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe kritisiert zudem, dass Restriktionen beim Einlass in Notunterkünfte auch dazu führen, dass Obdachlose nicht unterkommen. Wer alkoholisiert, mit Hund oder großen psychischen Problemen vor der Tür stehe, dürfe nicht bei jeder Einrichtung ins Warme, sagt Geschäftsführerin Werena Rosenke.
Platzangebot in vielen Notquartieren in OWL noch nicht ausgeschöpft
Auch in OWL gibt es eine große Zahl an Notquartieren. In Detmold sind von 53 städtischen Plätzen 34 belegt. In Paderborn von 22 städtischen Plätzen aktuell zehn. Die Stadt Bielefeld bringt derzeit 353 obdachlose Menschen unter. Ausgeschöpft sind die Kapazitäten damit aber noch nicht.
„Im Winter stocken wir die Angebote auf. Es muss weder nachts noch tagsüber jemand auf der Straße leben", erklärt Patricia Frommer, Leiterin der Wohnungsnothilfe im Sozialamt Bielefeld. Die Zahl obdachloser Menschen ist laut Frommer in den vergangenen Jahren gestiegen. „Zudem bleiben die Betroffenen länger in den Unterkünften, weil der Wohnungsmarkt so angespannt ist." Das bestätigt auch Sozialarbeiter Veenhof: „Menschen, die unsere Hilfe in Anspruch nehmen, haben auf dem Wohnungsmarkt sehr schlechte Karten. Es fehlt überall an bezahlbaren Wohnungen."
Ziel der Hilfen für Obdachlose ist der Weg zurück in ein eigenverantwortliches Leben. „Wir erarbeiten mit den Betroffenen Perspektiven, denn Wohnungslosigkeit ist immer nur die Spitze des Eisberges. Dahinter stecken vielschichtige Probleme wie Krankheiten, Verluste oder Beziehungsunfähigkeit", erklärt Veenhof. „Doch nicht alle möchten diese Hilfe auch in Anspruch nehmen, deshalb leben Menschen mitunter über Jahre auf der Straße."
Bahnhofsmissionen
Wichtige Anlaufstellen für Obdachlose sind auch die Bahnhofsmissionen in OWL. In Bielefeld, Herford, Bad Oeynhausen, Gütersloh, Paderborn, Altenbeken und Lage engagieren sich Ehrenamtler nicht nur für Menschen auf Reisen oder in akuten Nöten, sondern auch in existenziellen Notlagen. „In Bielefeld helfen wir täglich 120 Menschen. Dazu zählen auch viele Wohnungslose, die wir weiter vermitteln, wenn sie auf der Suche nach einem Schlafplatz oder anderer Hilfen sind", erklärt die hauptamtliche Mitarbeiterin Josefine Georgi.
NW Neue Westfälische, 29.01.2019 Carolin Nieder-Entgelmeier